Tag und Nacht



Es ist Tag

Das Nichts und die Unendlichkeit kreuzen ihre Schwerter,
zehntausend Dinge klatschen jenen Rhythmus.
Elemente üben sich vergnügt im Tanze,
das Lachen der Bäume malt Wellen in die Wiesen.
Ein Schatten durchläuft die Szenerie,
die Sonne wirft seinen Mann auf den Boden.
Eine Zeit fliegt vorbei,
grüßt den Mann,
fliegt hastig weiter.
Der Schatten explodiert zu Erdbeergeschmack,
befruchtet das Land.
Die Wiesen ziehen weiter,
ihr Hirte die Unendlichkeit,
die eiförmige Reinkarnation.
Träume tropfen von den Blättern der Bäume,
zerplatzen in einer Pfütze,
sie spiegelt die Erde.
Ein Schwarm Münder kauert in einer Sackgasse,
ihr Schweiss schmeckt nach fliegenden Tauben.
Heimliche Brüste liebkosen den Zweifel,
ein Ring entzieht sich der Ewigkeit,
junge Seelen zerschmelzen auf dem Herd,
verzweifelte Schreie spielen mit Gewehren.
Wolken aus Maschinen stricken transparente Ängste,
ihre Auren zeichnen Städte,
ihre Früchte schöpfen Sklaven.
Eine Motorsäge begeht Suizid.

Es ist Nacht.

Der graue Mann und die Blumen

Endlich. Endlich hatte sie eingewilligt mich zu treffen.
Nun stand ich an unserem Treffpunkt an einer Mauer gelehnt und wartete.
Es war kurz vor Drei. Ich war ein wenig zu früh dran und wurde immer nervöser. Mein Herz schlug schneller. Meine Blase wollte sich entleeren..
Um mich zu beruhigen, zog ich mir eine Zigarette aus der vollen Schachtel in meiner Hosentasche.Es war die mittlerweile tausendste letzte Zigarette meines Lebens.

Ich steckte sie mir in den Mund, hielt die Flamme meines Feuerzeugs an ihre Spitze und inhalierte den grauen Dunst.

Als der Rauch meine Lungen füllte und das Nikotin sich in meinen Kreislauf ausbreitete, zeigte es sofort seine Wirkung und beruhigte meinen nervösen Körper.
Nach der Hälfte der Zigarette, bemerkte ich auf der anderen Straßenseite einen Mann.
Er trug einen altmodischen, grauen Stoffanzug und einen Borsalino Hut auf dem Kopf.
Nicht nur seine Kleidung wirkte grau, sondern ebenfalls seine Haut. Er machte den Eindruck, als wäre er einem Schwarzweissfilm entsprungen. Er wirkte grauer als der Asphalt, auf dem er sich bewegte.
Schnurstracks lief er über die Straße und einen kurzen Moment hatte ich den Eindruck, er käme auf mich zu.
Kurz bevor er mich erreichte, bog er jedoch ab und bewegte sich auf den Blumenkübel zu, der in meiner Nähe stand.
Dort hielt er an, zog seine Anzugjacke aus, faltete sie und legte sie feinsäuberlich neben sich auf die Straße.

Nun krempelte er die Ärmel seines (in der Vergangenheit vielleicht einmal weißen) Hemdes hoch und begann, die Blumen in dem Kübel zu verspeisen.

Zuerst dachte ich, er wolle nur an den Blumen riechen, doch er aß sie.

Er machte sich über die Blumen her, wie ein hungriger Löwe über eine frisch gerissene Gazelle.
Blume um Blume verschwand in seinem Mund.
Nach zwei Minuten hatte er er alles Rote und Grüne verspeist und übrig blieb ein grauer, kahler Kübel.
Er krempelte seine Ärmel wieder runter, zog seine Anzugjacke an, strich sie noch kurz glatt und drehte sich zu mir um. Lächelte, hob kurz seinen Hut, als Zeichen des Abschieds und verschwand hinter einer Häuserecke.

Ich nahm den letzten Zug an meiner Zigarette, trat sie auf dem Boden aus und rührte danach nie wieder eine an.

Homo Ökonomicus


Wenns nach mir gegangen wäre, hätte ich lieber eine Ausflug ins Grüne gemacht, aber wenn man einen 9 jährige Sohnemann hat und einen endlichen Vorat an Nerven, ist man nunmal ab und an nicht die letzte Instanz der Entscheidungsgewalt.
Also gingen wir in den Zoo.
Wir hatten uns gerade ein Fruchteis geholt, oder vielmehr ich hatte mir eins gegönnt, umso dem unendlichen Schwall an Warumfragen zu entfliehen...
Warum gibts nur noch einen Löwen, Papa? - Weil alle anderen leider tot sind.
Warum sind alle anderen tot? - Weil wir ihnen den Lebensraum genommen haben und sie keinen Platz mehr zum Leben hatten. Warum haben wir das gemacht, Papa? - Hey sollen wir vielleicht ein Eis holen? - JA!
Kinder sind eben Kinder...und Eis ist eben Eis.
Als wir um die Ecke bogen konnte ich meinen Augen nicht trauen. Ich hatte zwar ab und an von ihm in der Zeitung gelesen, aber wenn man ihn dann in der Realität sieht, ist es natürlich immer noch beeindruckender. Forscher hatten ihn durch Zufall in einer der verbotenen Zonen entdeckt. Eigentlich nahm man an, dass dort kein Leben mehr existieren würde. Aber selbst die Wissenschaft ist nicht unfehlbar.
Leider konnten wir ihn gerade nicht sehen, da er scheinbar in einem der extra für ihn gebauten Gebäuden war. Also mussten wir mit der Infotafel vorlieb nehmen.

Wirtschaftsmensch/Arbeiter (umgs)
(lat. Homo Ökonomicus)
Letztes Exemplar seiner Art.
Natürlicher Lebensraum: Ballungsgebiete, vereinzelt auch auf dem Land zu finden.
Fundort: Verbotene Zone 7G (ehemals Japan)
Epoche: Neuzeit bis Postneuzeit
Größe: 178cm
Gewicht: 85Kg
Nahrung: Allesfresser
Feinde: Homo Öconomicus, Homo Sapiens, Homo Öcologicus

Verhalten: Der Homo Öconomicus hat im Regelfall einen strickten Tagesrhythmus:
6-7:00 Uhr: aufstehen, Blase entleeren, Nahrungsaufnahme,Darmentleerung
9-12:00 Uhr: Arbeit verrichten
12-12:30 Uhr: Nahrungsaufnahme
13-17:00 Uhr: Arbeit verrichten
17-18:00 Uhr: Nahrungsaufnahme
18-22:30 Uhr: Unterschiedliche Aktivitäten (hauptsächliche jedoch TV oder PC)
22:40 Uhr: Reproduktionsaktivitäten (mit oder ohne Partner)
23:00 Uhr: Schlafenszeit.

Besonderheiten: Der Homo Ökonomicus ist die bisher einzige Spezies der Weltgeschichte, die für ihr eigenes Aussterben verantwortlich gemacht wird.

Leider kamen wir zu einer ungünstigen Zeit an seinem Gehege vorbei und konnten ihn nicht wirklich zu Gesicht bekommen. Die Fütterung fand auch erst zwei Stunden später statt und mein Kleiner wollte sich nicht gedulden bis er sein Büro verließ.
Also gingen wir weiter zu den Giraffen.

Als wir abends mit unseren Freunden am Feuer saßen und ich in den Sternenhimmel schaute, musste ich wieder an ihn denken.
Irgendwie tat er mir leid.


Es war, es ist, es wird nie mehr so sein


An einem schwülen Tag im Frühling, stand ich vor dem Tiefkühlregal und hielt nach einer Pizza Ausschau, als mir jemand auf die Schulter tippte. "Entschuldigung?", flüsterten die lieblichsten Lippen die ich je küssen sollte. "Kannst du mir vielleicht den Knoten aus meiner Tasche machen?" Hilflos sahen mich ihre braunen Augen an, sie strahlten in mein Innerstes hinein. "Aber gern!" sagte ich und freute mich wie ein kleines Kind, dass es endlich so weit war. So lange hatte ich gewartet. 
Während meine Finger herrenlos den Knoten öffneten, ließ ich keinen Blick von Ihr schweifen. Ich wollte jeden Moment auskosten, jeden Moment für immer konservieren.
Als sie sich bedankt und auf den Weg zum Brotregal machte, zögerte ich, überlegte, wusste es besser und doch berührte ich ihre Schulter. Sie drehte sich um, und Ihr Lächeln machte uns zu einem Paar.
Dies geschah vor einem Jahr. 

Heute morgen wachte sie wie immer auf, setzte sich auf die Kante unseres Bettes, schüttelte einmal Ihren Kopf, wobei ihr traumhaft süßer Duft meine Nase liebkoste, streckte ihre Arme und stieg mit einem Ruck auf. Sie drehte ihren Kopf und schenkte mir ein Lächeln. Ich lächelte zurück, wie immer versucht mir nichts anmerken zu lassen. Dann stand sie auf und ging unter die Dusche. Singen ist nicht ihre Disziplin, aber die Leidenschaft und Lebensfreude, die sie unter der Dusche zum Ausdruck bringt, erwärmt mir jedes Mal mein Herz.
Tanzend kommt sie zurück in unser Schlafzimmer und der Geruch frischer Kirschen, mischt sich mit dem Geruch meines Mädchens. Eine köstliche Kombination.
Ich betrachte Ihren Körper. Ihren kleinen, festen Po, ihre langen, seidigen Beine, ihren elfenhaften Rücken und ihre Brüste, die perfekt in meine Hände passen. Mein Herz verkrampft sich, doch ich versuche den Moment zu genießen.
Sie schlüpft in eine ihrer Jeans und lässt ihr Lieblingsoberteil über ihre Schultern fallen. Sie sieht aus wie eine Königin, die weiß, dass es nicht viel braucht, um einen Mann verrückt zu machen.
Sie geht zu Ihrem Nachtschränkchen und streift ihre Uhr über ihr Handgelenk. "Verdammt, ich bin zu spät!" sagt sie und lehnt sich über ihre Seite des Bettes, um mir einen flüchtigen Kuss zu geben. "Bis später", sagt sie und will gerade losgehen, als ich sie zurückziehe. Ich halte sie fest und küsse sie noch einmal, länger, intensiver. Ich überlege, zögere, weiss es besser und doch lasse ich sie los. Sie ist überrascht, doch Ihr Lächeln zeigt Verständnis. Dann verlässt Sie unsere Wohnung. Und ich beginne zu weinen.

Sie wird den Zug noch bekommen. Wird einem bettelnden Asiaten Geld geben, weil Sie ein ein so großes Herz besitzt. Dann wird sie aussteigen, auf dem Weg zum Büro zehn Männern begegnen, die es nicht glauben können, dass so ein Wesen auf Gottes Erde wandert. Sie wird einen erfolgreichen Tag haben. Sie wird absichtlich etwas früher aus dem Büro gehen um den Zug zu bekommen, damit sie mich sehen kann. Weil sie mich vermisst.
Um 17:43 wird sie an Gleis 13 von einem gestressten Anzugträger auf die Gleise gestoßen und der einfahrende Zug beendet ihr Leben.

Ho Ho Ho Chi Minh


Ich schaue aus meinen Fenster. 
Die letzten Atemzüge des Tages, bevor die Nacht hereinbricht. 
Ich sehe Menschen. Frauen, Männer, Kinder. Sie bewegen sich. 
Autos, Züge, in der Ferne ein Flugzeug. 
Sie unterscheiden sich und doch folgen sie alle dem gleichen Ruf, sprechen diesselbe Sprache. Leider verstehe ich sie nicht. 
Ihre Farben blenden mich. Gleichzeitig verwandelt sich die Welt in Nuancen aus Grau. 
Wo ist das Weiß? Wo ist das Schwarz?
Ich schließe mein Fenster, schließe die Jalousie. Meine Klimaanlage surrt. 
Ich greife nach dem Telefon und wähle die erste Nummer, die mir in den Kopf kommt. Nach zwei Freizeichen meldet sich eine Frau am anderen Ende der Leitung.
"Ho Ho Ho Chi Minh", ruft sie mir entgegen. 
"Bitte?", frage ich. 
"Ho Ho Ho Chi Minh", höre ich sie wieder rufen. 
"Oh Verzeihung", sage ich. "Ich habe mich wohl in der Zeit geirrt!" und lege wieder auf.